Veränderungen der Heilmittelrichtlinie 2011 gegenüber 2004
Heilmittelrichtlinie
Das heutige Konzept der Heilmittelrichtlinie wurde im Jahr 2001
eingeführt. Wesentliches Element ist ein Heilmittelkatalog. Dieser führt
die Indikationen auf, bei denen eine sachgerechte Heilmitteltherapie
gegeben ist. Je Diagnosengruppe sind Heilmittel und Verordnungsmengen
bestimmt, bei denen im Regelfall eine nach dem Stand der medizinischen
Erkenntnisse ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung
der Versicherten gegeben ist.
2004 wurde die
Heilmittelrichtlinie aus dem Jahr 2001 überarbeitet. Hierbei wurden u.a.
Diagnosengruppen zusammengefasst und ein eindeutiger
Indikationsschlüssel je Diagnosengruppe eingeführt. Je Verordnung sind
seit 2004 nur noch zwei Heilmittel zulässig. Je Diagnosengruppe wurde
eine Gesamtverordnungsmenge festgelegt. Neben weiteren Korrekturen
wurden zu diesem Zeitpunkt neue Verordnungsvordrucke eingeführt.
Heilmittelrichtlinie 2011
Die Neufassung der Heilmittelrichtlinie 2011 basiert im Wesentlichen
auf der bisher bestehenden Richtlinie. Das grundsätzliche Konzept wurde
beibehalten. Insbesondere ist der Katalogteil weitgehend unverändert
geblieben.
Die Überarbeitung der Richtlinie erfolgte bezüglich formaler/redaktioneller und inhaltlicher Aspekte.
Der Text der Richtlinie erscheint zunächst deshalb umfassend verändert,
da eine Neugliederung nach Abschnitten, Paragraphen, Absätzen und
Sätzen erfolgte. Hierbei wurden auch Textpassagen verschoben.
Zunächst wird nicht mehr von Heilmittelrichtlinien gesprochen, sondern vom Singular Heilmittelrichtlinie.
In Anlehnung an die von der WHO verabschiedete ICF-Systematik
(International Classification of Functioning, Disability and Health)
wurde der Begriff „Schädigung/Funktionsstörung“ durch den Begriff
„Funktionelle/Strukturelle Schädigung“ ersetzt und der Begriff
„Fähigkeitsstörung“ durch „Beeinträchtigungen der Aktivitäten
(Fähigkeitsstörungen)“ ergänzt.
Ebenso wurde der
Richtlinientext im Sinne der sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen
und Männern überarbeitet. Statt z.B. vom „Vertragsarzt“ wird nun von
„Vertragsärztin und Vertragsarzt“ gesprochen. Hinweis: Aufgrund der
besseren Lesbarkeit haben wir die sprachliche Gleichbehandlung von
Frauen und Männern – z.B. „Vertragsärztin und Vertragsarzt“ – im Kapitel
„Hinweise“ durch „Arzt“ ersetzt. Des Weiteren wurde der Richtlinientext auf geänderte gesetzliche Bestimmungen und Nomenklaturen angepasst.
Wesentliche inhaltliche Veränderungen bzw. Ergänzungen sind folgend
skizziert. Für weitere Details wird auf den vollständigen Text der
Richtlinie verwiesen.
Bei vielen dieser Änderungen/Ergänzungen
handelt es sich um Klarstellungen von Sachverhalten, die in der Praxis
häufig bereits im jetzt fixierten Sinne gehandhabt wurden.
Heilmittelversorgung
Die Heilmittelrichtlinie soll eine nach dem allgemein anerkannten
Stand der medizinischen Erkenntnisse ausreichende, zweckmäßige und
wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit Heilmitteln sichern.
Die Heilmittelrichtlinie 2011 führt jetzt explizit aus, dass
insbesondere auch den Belangen behinderter oder von Behinderung
bedrohter sowie chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen ist (§ 1
Abs. 2).
Auf der anderen Seite verdeutlicht der Richtlinientext
jetzt, dass sich die Indikation für die Verordnung von Heilmitteln
nicht allein aus der Diagnose ergibt. Vielmehr besteht die Indikation
nur dann, wenn unter Gesamtbetrachtung der Schädigungen, der
Beeinträchtigung der Aktivitäten sowie unter Berücksichtigung der
individuellen Kontextfaktoren eine Heilmittelanwendung notwendig ist (§ 3
Abs. 5).
Ebenso wird betont, dass Heilmittel bei Kindern nicht
verordnet werden dürfen, wenn störungsbildspezifische pädagogische,
heilpädagogische oder sonderpädagogische Maßnahmen geboten sind (§ 6
Abs. 2).
Es wird auch nochmals dargestellt, dass es Heilmittel
bzw. Maßnahmen gibt, die im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung
nicht verordnungsfähig sind. Diese sind aber auch nicht im
Heilmittelkatalog aufgeführt. Vielmehr finden sich diese in einer Anlage
der Richtlinie verzeichnet (§ 5).
Verordnung im Regelfall
Es wird darauf verwiesen, dass für gleichzeitige unabhängige
Erkrankungen separate Verordnungsvordrucke zu verwenden sind, auch wenn
diese derselben Diagnosengruppe zugehören (§ 7 Abs. 4).
Ebenso
sind Maßnahmen der Physikalischen Therapie, der Ergotherapie sowie der
Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie immer auf getrennten
Verordnungsvordrucken zu verordnen (§ 12 Abs. 8).
Es wird
klargestellt, dass die „ergänzenden Heilmittel“ bzw. Maßnahmen der
Elektrotherapie/Elektrostimulation oder die Ultraschall-Wärmetherapie
auch isoliert, also ohne vorrangiges oder optionales Heilmittel,
verordnet werden können, soweit diese indikationsbezogen im
Heilmittelkatalog enthalten sind.
Bei Verordnung eines
ergänzenden Heilmittels ist dieses explizit auf der Verordnung zu
benennen, z.B. ist Wärmetherapie als Fango, heiße Rolle, Heißluft usw.
zu spezifizieren (§ 12 Abs. 4).
Sollten im Rahmen einer
Behandlungsserie (Erst- und Folgeverordnungen) auf den Verordnungen zwei
Heilmittel in unterschiedlichen Mengen verordnet worden sein, so gilt
für die Berechnung der Gesamtverordnungsmenge die Summe der vorrangigen
Heilmittel (§ 7 Abs. 9).
Bei Maßnahmen der Ergotherapie kann
die Verordnungsmenge jetzt je Verordnungsvordruck auf verschiedene
vorrangige Heilmittel aufgeteilt werden. Beispiel für
Indikationsschlüssel EN2: Verordnungsmenge 10, davon 6 x sensomotorisch
perzeptive Behandlung und 4 x Hirnleistungstraining (§ 12 Abs. 7).
Es wird empfohlen, beide vorrangige Heilmittel in einer Zeile des
Verordnungsvordrucks einzutragen, jeweils mit der vorangestellten
Mengenangabe.
Verordnung außerhalb des Regelfalls
Es wurde klargestellt, dass Verordnungen außerhalb des Regelfalls
ohne vorhergehendes behandlungsfreies Intervall ausgestellt werden
können (§ 8 Abs. 2).
Werden standardisierte
Heilmittelkombinationen (D) nicht innerhalb eines Regelfalls verordnet,
können diese anschließend außerhalb des Regelfalls nur beschränkt
verordnet werden. Und zwar nur einmalig bis zu der im Regelfall
vorgesehenen Gesamtverordnungsmenge (§ 12 Abs. 5).
Begründungspflichtige Verordnungen
Verordnungen außerhalb des Regelfalls müssen vom verordnenden Arzt
auf der Verordnung begründet und der Krankenkasse zur Genehmigung
vorgelegt werden. Krankenkassen können jedoch auf ein
Genehmigungsverfahren verzichten, wovon in der Vergangenheit häufig
Gebrauch gemacht wurde.
Neu ist eine Regelung, bei welcher der
Versicherte für sich bei seiner Krankenkasse eine langfristige
Genehmigung von Leistungen außerhalb des Regelfalls beantragen kann. Die
Genehmigung kann zeitlich befristet sein, sollte aber mindestens für
ein Jahr gelten (§ 8 Abs. 5).
Behandlungsbeginn/Behandlungsabstand
Hat der Arzt keine Angabe zum spätesten Behandlungsbeginn gemacht,
sollte die Behandlung bisher, je nach Maßnahme, innerhalb von 10 bis 28
Tagen nach Ausstellung der Verordnung begonnen werden.
Neu ist
zunächst eine Spezifizierung auf „Kalendertage“. Zudem ist die Frist
geändert worden. Hier gilt jetzt, dass die Behandlung innerhalb von 14
Kalendertagen (28 bei podologischer Behandlung) begonnen werden soll (§
15 Abs. 1).
Wird die Behandlung länger als 14 Kalendertage
unterbrochen, verliert die Verordnung ihre Gültigkeit (außer
podologische Behandlung). Bei Maßnahmen der Physikalischen Therapie
betrug diese Frist bisher nur 10 Tage (§ 16 Abs. 3).
Behandlung außerhalb der Praxisräume
Eine Behandlung außerhalb der Praxisräume ist nur dann zulässig, wenn ein Hausbesuch verordnet wurde.
Ohne Verordnung eines Hausbesuches ist die Behandlung jetzt außerhalb
der Praxis des Therapeuten unter bestimmten Umständen für Kinder und
Jugendliche möglich, die in einer Tageseinrichtung untergebracht sind (§ 11 Abs. 2).
Verordnungsvordruck
Es wurde klargestellt, dass eine Behandlung nur dann durchgeführt
werden kann, wenn der Verordnungsvordruck vollständig ausgefüllt ist
(siehe § 16 Abs. 1 und § 13 Abs. 2).
Dies sind, im Prinzip wie bisher, insbesondere folgende Angaben (Neuerungen sind erläutert):
a) Angaben entsprechend dem Verordnungsvordruck.
b) Art der Verordnung (Erst-/Folgeverordnung, Verordnung außerhalb des Regelfalls).
c) Angabe, ob ein Hausbesuch durchgeführt werden soll.
d) Angabe, ob ein Therapiebericht zu erstellen ist (ja oder nein).
Dieser Punkt wurde jetzt explizit als verbindlich aufgenommen (§ 13 Abs.
2 d).
e) Angabe, ob die Durchführung als Einzel- oder Gruppentherapie erfolgen soll.
f) Zeitpunkt des Behandlungsbeginns (falls vom Standard abweichend).
g) Verordnungsmenge.
h) Heilmittel gemäß dem Katalog.
i) Ggf. ergänzende Angabe zum Heilmittel (z.B. KG oder Übungsbehandlung im Bewegungsbad, Art der Wärmetherapie).
j) Frequenzempfehlung.
k) Therapiedauer bei Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie sowie Manueller
Lymphdrainage (MLD), als MLD-30, MLD-45 oder MLD-60. Hier wird neu
explizit darauf hingewiesen, bei Verordnung von Manueller Lymphdrainage
die Therapiedauer anzugeben (MLD-30, MLD-45 oder MLD-60).
l)
Vollständiger Indikationsschlüssel. (Bei Physikalischer Therapie ist die
Leitsymptomatik Bestandteil des Indikationsschlüssels, z.B. „ZN1“ plus
„a“ = „ZN1a“).
m) Konkrete Diagnose mit Therapieziel(en) nach
Maßgabe des Heilmittelkataloges. Neu ist die Formulierung „konkrete
Diagnose“ statt „Diagnose“. Für die Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie
sowie für Ergotherapie wird jetzt explizit die Angabe der
Leitsymptomatik gefordert. Therapieziele sind jedoch nur anzugeben, wenn
sich diese nicht aus der Diagnose bzw. der Leitsymptomatik ergeben (§
13 Abs. 2 m).
n) Medizinische Begründung bei Verordnung außerhalb des Regelfalls.
o) Relevante Befunde, insbesondere außerhalb des Regelfalls bzw. bei Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie sowie Ergotherapie.
Maßnahmen/Behandlung
Bezüglich der Manuellen Lymphdrainage wurde spezifiziert, wann
MLD-30, MLD-45 und MLD-60 verordnungsfähig sind (§ 18 Abs. 2 Nr. 7).
Es wurde klargestellt, dass zu Krankengymnastik auch die Atemtherapie (KG-Atemtherapie) zählt (§ 19 Abs. 3 Nr. 3 a).
Die Maßnahme KG-Mukoviszidose (jetzt abgekürzt mit KG-Muko) kann auch bei anderen schweren Lungenerkrankungen verordnet werden (§ 19 Abs. 3 Nr. 3 c).
Traktionsbehandlung wird als ergänzendes Heilmittel verstanden und kann
daher nicht (mehr) mit einem zweiten ergänzenden Heilmittel (z.B.
Wärmetherapie) verordnet werden (ein entsprechender Passus ist in der
Heilmittelrichtlinie 2011 entfallen).
Klargestellt wurde, dass
eine geschlossene Fehlbeschwielung (Wagner-Stadium 0) an einem anderen
Ort an einem Fuß mit bereits vorliegenden Hautdefekten und Entzündungen
im Bereich Wagner-Stadium 1 bis 5, welche einer Behandlung podologischer
Maßnahmen bedarf, durch einen Podologen behandelt werden darf (§ 28
Abs. 4 Nr. 4).
Die Heilmittelrichtlinien wurden zum 01.07.2004 geändert. Dabei hatte das Gesundheitsministerium von Anfang an herausgestellt, dass die notwendige Versorgung mit Heilmitteln gesichert bleiben muss. Genau so ist es inzwischen beschlossen, gerade schwer chronisch kranke Menschen oder auch Kinder, die der Frühförderung bedürfen, erhalten nach wie vor die notwendigen Heilmittel. Dies sind z.B.Massagetherapie (klassische Massage, Bindegewebsmassage) Krankengymnastik Wärme-/Kältetherapie Manuelle Lymphdrainage usw.
Diese Leistungen gehören weiterhin zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen und können vom Arzt verordnet werden. Bei festgestellter medizinischer Notwenigkeit muss der Arzt sogar Therapie verordnen.
Einzelne Regelungen der Heilmittelrichtlinien sind nicht überall bekannt:
Die Heilmittelrichtlinien geben vor, bei welchen Erkrankungen mit welchen und wie vielen Maßnahmen (Gesamtverordnungsmenge) diese Erkrankung in der Regel (Regelfall) therapiert werden kann. Sie regeln auch die Menge pro Rezept und damit die Anzahl der Rezepte. In den meisten Fällen können pro Verordnung (Rezept) maximal 6 Heilmittel verordnet werden. Dazu können auch jeweils ergänzende Heilmittel wie Kältetherapie, Wärmetherapie, Elektrotherapie verordnet werden Bei einzelnen Krankheitsbildern (Schlaganfall, Mammakarzinom usw.) können pro Verordnung maximal 10 Maßnahmen verschrieben werden Je nach Einschätzung des Arztes wie langfristig die Erkrankung verläuft, können insgesamt d.h. auf mehreren Rezepten 6, 18, 30 oder 50 Maßnahmen verordnet werden (Gesamtverordnungsmenge) Mit dieser Gesamtverordnungsmenge sollte in der Regel die Erkrankung behandelt sein (Regelfall) Ist die Gesamtverordnungsmenge ausgeschöpft, kann die sog. Verordnung außerhalb des Regelfalls für eine Fortsetzung der Therapie sorgen So kann bei chronischen Erkrankungen die Therapie auch ohne Unterbrechung fortgesetzt werden (durch die Verordnung außerhalb des Regelfalls) Bei einer Verordnung außerhalb des Regelfalls können auch mehr als 6 oder 10 Maßnahmen pro Rezept verordnet werden – Obergrenze hier ist eine Therapiedauer von 12 Wochen Die Verordnung außerhalb des Regelfalls ist eigentlich genehmigungspflichtig – die meisten Krankenkassen verzichten aber hierauf – eine kurze Begründung auf der Verordnung reicht diesen aus. Nach einer therapiefreien Zeit von 12 Wochen kann ein neuer Regelfall eintreten, d.h. die Behandlungsserie von vorne beginnen es gibt keine Begrenzung von Mengen auf ein Quartal oder einen sonstigen Zeitraum es gibt kein grundsätzliches Verbot für Verordnungen außerhalb des Regelfalls alle zugelassenen Ärzte, Hausärzte, Orthopäden, Chirurgen, Internisten, usw. sogar Zahnärzte dürfen Heilmittel verordnen
Selbstverständlich ist der Arzt dabei an die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gebunden.